Martin Scorsese - World Cinema Project

Am 17. November konnte Martin Scorsese seinen 80. Geburtstag feiern. Er hat sich mit Filmen wie «Taxi Driver», «The King of Comedy» oder «The Age of Innocence» einen Namen in der Filmgeschichte gesichert, ist ein leidenschaftlicher Cinéphiler und engagiert sich mit seiner Stiftung zur digitalen Erhaltung des Filmerbes. Gemeinsam mit namhaften Filmschaffenden aus der ganzen Welt hat Scorsese das World Cinema Project gegründet, das Digitalisierungen und Restaurierungen ermöglicht. Die Stiftung trigon-film engagiert sich seit Jahrzehnten für herausragende Filme aus Süd und Ost und betreut Filme aus dem WCP, die hier exklusiv auf filmingo zu entdecken sind.

Die Farbe des Granatapfels (1969)
Sergej Paradschanow
Armenien
80′
Der armenische Lyriker Arathin Sayadin arbeitete im 18. Jahrhundert am Hof des Königs Herode II. Nach seinem Verstoss zog er als fahrender Sänger durch die Lande, bis er ermordet und zum Märtyrer wurde. Die ungewöhnliche Filmbiografie des Sayat Nova besteht aus acht Kapiteln, die seine Lebensstationen mit Hilfe von stark surrealistischen Tableaus darstellen. Darin wird wenig gesprochen, das meiste an Worten findet sich in den lyrischen Zwischentiteln: Vorrang hat der visuelle Ausdruck. Sergej Paradschanow zeigt in liebevoll-ironischen Tableaus Stationen aus dem Leben des Poeten: das Aufwachsen inmitten von Büchern, die erste Liebe, die Zeit am Hof. Dabei strebt er an, ins poetische Universum des Dichters einzudringen, es gleichsam mit seinem eigenen zu verschmelzen. Ulrich Gregor hat seinerzeit geschrieben: «Der Reichtum der optischen und akustischen Partitur, die symbolischen Gestalten, die durch den ganzen Film gehen, die Montageübergänge, die der assoziativen Bewegung des dichterischen Gedankens dienen, erschliessen neue Möglichkeiten poetischer filmischer Ausdruckskraft.» Sergej Paradschanows Bilder und Sayat Novas Poesie dringen tief in die christlich-orientalische Kultur Armeniens vor und sind sorgsam und streng komponiert. Ein ganz spezieller Augenschmaus.
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Der Fluss Titash (1973)
Ritwik Ghatak
Indien
157′
Ritwik Ghatak erzählt in seinem Film "Der Fluss Titash" aus dem Leben eines Fischerdorfes an den Ufern des Titasch in Ostbengalen. Kiishore verliebt sich in ein Mädchen, welches kurz nach ihrer Heirat von Flusspiraten verschleppt wird. Darauf verliert Kishore den Verstand. Die junge Frau schenkt kurz vor ihrem Tod einem Jungen das Leben. Basanti, eine Frau aus dem Dorf, nimmt sich des neu geborenen Kindes an. Kaum ist der Knabe erwachsen, verlässt er sie. Der Fluss wird immer trockener und «Babus» aus der Stadt kommen ins Dorf, das von immer mehr Bewohnerinnen und Bewohnern verlassen wird. Schliesslich werden die Babus zu Landherren und machen aus dem Flussbett Reisfelder. Nur Basanti ist im Dorf geblieben, und auch ihr Leben neigt sich jetzt dem Ende zu. Ritwik Ghatak wurde am 4. November 1925 in der Stadt Dacca in Bangladesh geboren. Er arbeitete in einer Textilfabrik, begann sich für die Politik zu interessieren und war 22 Jahre alt, als Indien seine Unabhängigkeit erlangte und teilte die Freude vieler Intellektueller darüber nicht. Seine Heimat wurde in zwei Teile zerrissen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Ghatak zunächst Novellen zu schreiben, dann arbeitete er am Volkstheater unter anderem als Schauspieler, verfasste zahlreiche Drehbücher und realisierte mehrere Dokumentarfilme. Berühmt ist mittlerweilen seine Flüchtlingstrilogie mit den Filmen "Der verborgene Stern", "Der Fluss Titash" und "Der Fluss Subarnarekha". 1976 ist Ritwik Ghatak 51-jährig und verbittert an Alkohol und Tuberkulose gestorben.
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Lucía (1968)
Humberto Solás
Kuba
161′
Ein Vorname für drei Frauen. Jede steht für einen Schlüsselmoment in der Geschichte Kubas: 1895, 1930, 1953. Ein wundervoll fliessendes Triptychon aus drei unterschiedlichen Inszenierungsstilen, das die Entwicklung der weiblichen Existenz auf der Insel beschreibt und damit diejenige aller Kubanerinnen. Lucía war der erste Spielfilm von Humberto Solás, auf Anhieb ein Meisterstück. Episode I Die erste, um 1895 angesiedelte Episode spielt zur Zeit des Kampfes gegen die spanischen Kolonialherren. Im Mittelpunkt der Handlung steht die wohlbehütete und der kleinen Schicht der Besitzenden angehörende Lucia, die sich in den aus Spanien stammenden Rafael verliebt. Nachdem Lucia die Grausamkeit des Krieges persönlich erlebt hat und von ihrem Geliebten im Stich gelassen worden ist, ermordet sie ihn. Episode II Die Lucia dieser zweiten Geschichte verliebt sich 1932 in einen Revolutionär, verlässt daraufhin ihr bürgerliches Elternhaus und unterstützt den Kampf gegen den verhassten, diktatorisch regierenden Präsidenten Gerardo Machado. Dieser wird schliesslich gestürzt, aber Korruption und Misswirtschaft bleiben weiterhin bestehen. Aldo, Lucias Geliebter, erkennt, dass das Ziel der Revolution noch lange nicht erreicht ist, kämpft deshalb weiter und wird schliesslich erschossen. Lucia bleibt allein zurück. Episode III In der dritten, in den 1960er Jahren angesiedelten Geschichte hat die Revolution gesiegt. Lucia ist glücklich mit dem krankhaft eifersüchtigen Tomas verheiratet, der seine Frau als Eigentum betrachtet und sie im Haus einschliesst. Nicht zuletzt unter dem Einfluss eines jungen Lehrers, der während der Kampagne gegen den Analphabetismus ins Dorf gekommen ist und Lucia Lesen und Schreiben beibringt, begreift die junge Frau, dass sie aus ihrem Sklavendasein ausbrechen und ihren rasenden Mann - zumindest vorübergehend - verlassen muss.
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Pixote (1980)
Héctor Babenco
Brasilien
127′
In einer Besserungsanstalt für Jugendliche erlebt der Strassenjungen Pixote körperliche Misshandlung, sexuellen Missbrauch und tödliche Gewalt. Nur das Schnüffeln von Klebstoff spendet Trost. Aus Angst vor den Übergriffen flüchtet er zusammen mit einem Freund zurück in ein Leben als Kleinkrimineller auf der Strasse. In der alternden Prostituierten Sueli sucht er eine Ersatzmutter. Doch nachdem Pixote einen ihrer Freier erschiesst, wirft sie ihn raus. Wieder ist er auf sich allein gestellt. - Ein grosser Klassiker des brasilianischen Kinos und des Films in Lateinamerika.
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Memorias del Subdesarrollo (1968)
Tomás Gutiérrez Alea
Kuba
99′
Fidel Castros Revolution war 1959 für viele Kubanerinnen und Kubaner die Erlösung von einem tyrannischen Regime, einer jahrzehntelangen Ausbeutung durch die USA und der Beginn von wesentlich mehr Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Sergio ist im Land geblieben, nicht aus Überzeugung, sondern aus Bequemlichkeit und ein bisschen Neugier. Seine Frau hat ihn und Kuba verlassen. Er verbringt seine Tage vorwiegend mit Träumereien und Selbstgesprächen, die er auf Tonband aufzeichnet, und er beobachtet die Veränderungen, die sich in seiner Umgebung abspielen, vom Balkon seiner luxuriöse Hochhauswohnung aus. In seiner Luxuswohnung versucht er nun seine Memoiren zu schreiben, sich zu erinnern an die alte Zeit und die neue zu analysieren und zu verstehen. Das erweist sich als zunehmend schwierig ­ und man schrieb erst das Jahr 1968. Es gibt ja eine ganze Reihe von herausragenden Filmen von der Karibik-Insel, da zu den Vorzügen von Castros umstrittener Politik gehört, dass er das Kino als die wichtigste der Künste einstufte. «Memorias del subdesarrollo» gehört zu den grössten Filmen nicht nur Kubas sondern der Kinogeschichte überhaupt. Tomás Gutiérres Aleas ungemein vielschichtiger und subtiler Film ist eine der klügsten und tiefgründigsten Reflexionen über die kubanische Revolution, schillernd und rätselhaft wie sein Titel, ein Film, der ende der sechziger Jahre noch einmal mit aller Kraft offenbarte, was in der Siebten Kunst noch immer für ein Potenzial steckt und dass visuelles Erzählen halt schon etwas mit gestalteten Bildern zu tun hat und nicht nur mit abgefilmtem Theater. Noch heute besticht dieser Film in seiner Gestaltung und er macht daneben auch überdeutlich, wie klar die Probleme des kubanischen Systems eigentlich schon waren, zu einer Zeit, in der es selber sie noch hätte korrigieren und verbessern können.
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Muna moto (1975)
Jean-Pierre Dikongué-Pipa
Kamerun
90′
Ngando und Ndomé sind verliebt. Ngando möchte Ndomé heiraten, aber ihre Familie erinnert ihn daran, dass die traditionelle Mitgift geregelt werden muss. Leider ist Ngando arm und kann die Tradition nicht erfüllen. Ndomé ist schwanger und trägt sein Kind. Nach der Dorftradition muss sie einen Ehemann nehmen, zumindest einen, der es sich leisten kann, die Mitgift zu bezahlen.
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After the Curfew (1954)
Usmar Ismail
Indonesien
103′
Nach der Befreiung von der niederländischen Kolonialherrschaft kehrt der Revolutionsheld Iskandar ins zivile Leben zurück. Dabei muss er erkennen, dass die Ideale, für die er gekämpft hat, nicht wirklich gelebt werden. «After the Curfew» ist ein leidenschaftliches Werk, das sich direkt mit einem entscheidenden Konfliktmoment in der indonesischen Geschichte befasst: den Nachwirkungen der vierjährigen republikanischen Revolution, die der niederländischen Herrschaft ein Ende setzte. Es ist ein visuell und dramatisch eindringlicher Film über Wut und Desillusionierung und über den Traum von einer neuen Gesellschaft. Regisseur Usmar Ismail wird allgemein als der Vater des indonesischen Kinos angesehen. Er begann seine Karriere als Dramatiker und Gründer von Maya, einem Drama-Kollektiv, das in den Jahren der japanischen Besatzung entstand. Und es war während dieser Zeit, als Ismail ein Interesse am Filmemachen entwickelte. After the Curfew ist Ismails grösster kritischer und kommerzieller Erfolg und gilt als Klassiker des indonesischen Kinos.
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Downpour (1972)
Bahram Beyzaie
Iran
130′
Bahram Beyzaies Debütfilm über einen wohlmeinenden Schullehrer in Teheran, der von Schicksalsänderungen geplagt ist, war in seiner Zeit enorm erfolgreich, im postrevolutionären Iran aber aus dem Blickfeld geraten. Der Film wurde von der World Cinema Foundation in der Fondazione Cineteca di Bologna/L'immagine Ritrovata unter Beteiligung von Bahram Beyzaie selbst restauriert.
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Alyam, Alyam (1978)
Ahmed El Maanouni
Marokko
87′
Alyam, Alyam erzählt von der Lebenswirklichkeit junger Männer in Marokko und ist auch nach fast 40 Jahren noch immer hochaktuell. In einem kleinen Dorf hängt Abdelwahed seinen Träumen von einem besseren Leben für sich und seine Familie nach, er hofft, nach Frankreich gehen und dort Arbeit finden zu können. Als ältestes von acht Kindern ist er nach dem Tod des Vaters das Familienoberhaupt und soll für die Familie sorgen. Er füllt Antragsformulare aus und wartet auf die ersehnte Arbeitserlaubnis. Seine verwitwete Mutter Hlima will ihn nicht ziehen lassen. Vergebens versucht sie mit Hilfe von Abdelwaheds Großvater, ihn von seinem Plan abzubringen. Während die Tage im Rhythmus des Landlebens dahinziehen, geprägt von den Mühen der Feldarbeit, wartet Abdelwahed. Ihm bleibt nichts anderes übrig. Alyam, Alyam, ein Werk zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, ist Ahmed El Maanounis Debüt und der erste marokkanische Film, der je in Cannes gezeigt wurde. Die Restaurierung des Films erlaubt es nun einer neuen Generation von Cinephilen, die Brillanz und die elegante Montage des Films zu entdecken.
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Touki Bouki (1973)
Djibril Diop Mambéty
Senegal
90′
Es sind immer wieder die Kinder und Jugendlichen, die im afrikanischen Kino die Hoffnung auf eine bessere Zukunft vertreten. Das ist in diesem Klassiker des Kinos, den wir in neuer Kopie als Reedition zeigen, nicht anders. Mory und Anta träumen davon, nach Paris ins «verheissene Land» zu gehen, das Josephine Baker besungen hat. Er ist Viehhirte, doch seine Herden wurden zum Schlachthof geführt. Seitdem treibt sich Mory mit dem Motorrad, das er zum Andenken an seine Zebus mit zwei Hörnern verziert hat, in der Stadt herum. Anta ist eine junge Studentin, die ebenfalls am Rande der Gesellschaft lebt. Liebe ist der einzige Reichtum der beiden, und so entschliessen sie sich, alles zu unternehmen, um das nötige Geld für ihre Reise zusammenzubringen. Ein witziger Film über die romantische und aufregende Jugend in Senegal, vor allem aber auch eine politisch und sozial weitsichtige Reflexion über das Exil. Nicht so sehr durch seine vielbeachtete formale Eigenwilligkeit besticht dieser Film, sondern vielmehr durch seine politische und soziale Weitsicht. Auf seiner Reise in eine bessere Zukunft, die er in Paris zu finden glaubt und die am Hafen von Dakar endet, erkennt Mory, dass die Annahme einer fremden Identität nie zu einer eigenen führen kann. Mit der Besinnung auf seine eigenen Wurzeln leitet er einen Selbstfindungsprozess ein.
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